Bergsträsser Anzeiger Heppenheim 26.02.1997
Am 11. August jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Enid Blyton/ Behutsame Modernisierung dank veraltetem Rollenbild
Am 11. August wäre eine Frau 100 Jahre alt geworden, mit deren Büchern ganze Generationen von Kindern und Jugendlichen groß geworden sind- so groß, dass längst auch der Nachwuchs sich für die Romane und Erzählungen begeistert hat: Bis heute scheinen die Werke der Enid Blyton an Anziehungskraft kaum etwas verloren zu haben. Dass vor allem ihre Kinderkrimi-Serien nach wie vor gefragt sind, beweisen die (Neu-) Verfilmungen der vergangenen Jahre von allerdings schwer wechselhafter Qualität. Dass Pädagogen, Buchhändler und Bibliothekare (selbstverständlich auch des weiblichen Geschlechts) weniger gern oder zumindest mit leichten Bauchschmerzen den anhaltenden Run auf die Bücher der Engländerin verfolgen, ist nichts neues. Nach heutigen Maßstäben ist die Rollenverteilung gerade in Enid Blytons Kinderkrimis in der Tat leicht überholt: Mädchen, die sich fast ausschließlich um das Zubereiten des Essens und andere Haushaltsfragen kümmern, Jungen, die- wenn es gefährlich zu werden droht- lieber mal alleine losgehen. Allerdings hat vor allem der Klopp Verlag- seit Jahrzehnten erste deutsche Blyton-Adresse - immer wieder versucht, bei Überarbeitungen Neuauflagen behutsam aus diesem Bild zu drehen. Auch wenn man dies aus prinzipiellen Gründen fragwürdig finden kann (wer würde schon nachträglich in einer Komposition herumstreichen, um sie angeblich "zeitgemäßer" zu machen?), fällt das Ergebnis doch weniger schlimm aus als zunächst einmal zu befürchten ist. Auf schätzungsweise 600 bis 700 Bücher hat es Enid Blyton in ihrem 71jährigen Leben gebracht und ist damit die erfolgreichste Kinder- und Jugendbuchautorin aller Zeiten. An Übertragungen in andere Sprachen haben nur die Bibel und Lenin größere Zahlen aufzuweisen: eine durchaus illustre Gesellschaft also.
Obwohl durchweg leichte Kost und oftmals verpönte pure Unterhaltung darstellend, wäre es leichtfertig, die Werke der Schriftstellerin vorschnell abzuurteilen. Dass es eben nicht genug ist , im Sinne Blytons mal eben eigene Kinderkrimi- Figuren und Abenteuer zu entwerfen, diese Erfahrung kann man seit den ersten internationalen Erfolgen der Engländerin bis heute machen: In ihrem Schlepptau fühlten und fühlen sich immer wieder Schriftsteller bemüßigt, es ihr nachzutun- mit sehr unterschiedlichem bis zweifelhaftem Erfolg , weil allzu leicht übersehen wird, dass auch scheinbar einfach gestrickte Geschichten wie diese nicht mal so eben am Reißbrett nachgebaut werden können. Im Gegenteil: Blytons Romane und Erzählungen sind, wie immer man ihnen gegenüberstehen mag, in sich absolut stimmig: Man wird kaum etwas an und in ihnen (Personal, Handlungsorte, Stimmungen, Charakterzeichnungen, Identifikationsmöglichkeiten, Sprache, Stil), was nicht optimal in das Konzept passt- auch wenn es noch so veraltet und/oder oberflächlich zu sein scheint. Zudem hat Blyton niemals ihr Publikum mit einer bemüht "kindgerechten" Art zu erreichen versucht. Es ist deshalb auch die (scheinbare) Mühelosigkeit, die gänzlich ungezwungen wirkende "Natürlichkeit" ihres Schreibens, die ihre Wirkung ausmacht, die allerdings natürlich niemals die hintergründig moralischphilosophische Ebene etwa einer Astrid Lindgren erreicht hat.
Anläßlich des 100. Geburtstages der Autorin erscheint im März im Erika Klopp Verlag die (Auto-) Biographie "Die Geschichte meines Lebens". Auch wenn manches möglicherweise relativiert werden muss (wie man seit den 1968 veröffentlichten Kindheitserinnerungen der Blyton-Tochter Imogen weiß), ist das Buch dennoch nicht nur erhellend, was das Leben, die Lebensauffassung und die Motive der Schriftstellerin, sondern auch, was die Bezüge einiger ihrer Romanfiguren (nicht nur der menschlichen) zur Realität angeht. Bereits erschienen (ebenfalls bei Klopp) ist die jüngste und erneuert bearbeitete Auflage der achtbändigen "Abenteuer"- Serie, die als Taschenbuch Edition auch bei dtv erhältlich ist. Eine besondere Zugabe für Freunde der "Fünf Freunde"- Reihe hat vor wenigen Monaten der Verlag C. Bertelsmann veröffentlicht: Die 21 "offiziellen" Bände wurden durch den Titel " Fünf Freunde meistern jede Gefahr" ergänzt, in dem acht Kurzgeschichten versammelt sind, die zwischen 1954 und 1961 in englischen Magazinen erstveröffentlicht wurden, allerdings wohl auch nur für Sammler und treuste Fans von größerem Wert sein dürften.
Im Übrigen besteht die Chance, dass im Sommer fast jedes jüngere Schulkind in Deutschland ausgiebigere Bekanntschaft mit Enid Blyton machen wird: Ebenfalls zum 100. Geburtstag der Autorin wird die Stiftung Lesen einen großangelegten Wettbewerb auf der Grundlage ihrer Werke durchführen. Dann geht es möglicherweise nicht nur um die Klassiker wie die "Abenteuer-" und die "Fünf Freunde" Serie oder auch die "Geheimnis um...." Reihe (ebenfalls bei Klopp), sondern vielleicht auch um bis heute weniger beachtete Romane und Erzählungen der Engländerin. Wer hat denn schließlich schon einmal von "Treffpunkt Keller" oder "Unterm roten Dach" gehört"? Auch diese beiden Titel sind seit Jahrzehnten im Klopp Verlag erhältlich, fristen gemessen an ihren "Kollegen aber doch eher ein Schattendasein, das sie allerdings kaum verdient haben- zumindest für Blyton- Fans, die auch hier hundertprozentig in bewährtere Manier bedient werden, dürfte das keine Frage sein. (hol)
Recklinghäuser Zeitung 02.08.1997
Mutter von "Hanni und Nanni"
Die Schriftstellerin Enid Blyton wäre 100 Jahre alt geworden: Für sie war es ein Traumberuf
Das Lesevergnügen war stets eng an Dolly Rieders Lebenslauf gebunden: Immer, wenn sich das Temperamentbündel entschloß, ein weiteres Schuljahr oder später sogar die Berufsausbildung auf Burg Möwenfels zu absolvieren, war die Fortsetzung der Internatsgeschichte sichergestellt, gab es ein Wiedersehen mit der Protagonistin, ihren Freundinnen Susanne, Will und Clarissa, mit der Direktorin Frau Greiling und mit "Pöttchen" der Hausvorsteherin. Denn, Hand aufs Herz: Wer konnte sich Dolly ohne Burg, die Burg ohne Dolly oder Ferien ohne ein Buch aus der gleichnamigen Serie vorstellen? Auf diese Weise prägte sich auch der Name der Autorin fest ins Gedächtnis ein: Enid Blyton. Die Schriftstellerin, geboren am 11. August 1897 in London, hätte in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert. Die Engländerin ist die geistige Mutter vieler Buchserien, die bereits ganze Generationen von Kindern und Jugendlichen verschlungen haben. So galten und gelten ihre Best- und Longseller "Dolly" (18 Bände), "Hanni und Nanni" (19 Bände), "Tina und Tini" (14 Bände) und die "Fünf Freunde" (22 Bände) als unfehlbares Rezept gegen "Lesehunger"- scheinbar alterslos, gegen jeden Trend und jede Zeitgeist-Entwicklung gefeit.
"Mein Vorsatz, später einmal Schriftstellerin zu werden, stand bereits fest, als ich lesen lernte", schreibt Enid Blyton in ihrer Autobiographie "Die Geschichte meines Lebens".
Zunächst aber lässt sie sich auf Wunsch ihrer Eltern zur Musikerin ausbilden. Doch auch während dieser Zeit schreibt sie Gedichte und Geschichten, die sie zur Veröffentlichung anbietet- ohne Erfolg. Mindestens 500 Manuskripte werden zurückgeschickt. "Sei vernünftig, liebes Kind! Strebe nicht nach Himmelsträumen, sondern merke dir geschwind: Tätig sollst du sein, nicht träumen", schreibt ihr daraufhin ein wohlmeinendes Familienmitglied ins Poesiealbum.
Doch Enid Blyton entwickelt eine Idee, die sie ihrem Traumberuf ein ganzes Stück näherbringt: "Kindergärtnerin wäre der ideale Beruf für mich. Dass ich nicht schon früher auf die Idee gekommen war! Ich wollte doch gern für Kinder Bücher schreiben, kam aber auf dem bisherigen Weg nicht so recht voran. Als Kindergärtnerin würde ich täglich mit Kindern zusammen sein, sie reden hören, sie beim Spielen beobachten, genau herausfinden, wovor sie sich fürchten und was sie sich wünschen."
Tatsächlich entwickelten sich ihre Schützlinge zu Ideenlieferanten und Lehrern. Auf diese Weise einmal in Gang gesetzt, führt der kreative Prozeß schließlich zum Erfolg: 1922 erscheint Enid Blytons erstes Buch: "Child Whispers" .
Die Phantasie bleibt stets die Nahrung ihrer Schriftstellerin. "In meinem Kopf läuft dann die Handlung ähnlich wie in einem Film ab. Wenn die ersten Szenen an mir vorbeigezogen sind, kenne ich Namen, Charakter und Aussehen der Leute, die in meiner neuen Geschichte vorkommen werden", berichtet sie über die Entstehung ihrer Bücher. Immer wieder auch integriert sie auch eigene Erlebnisse oder Menschen, die sie kennt, in ihre Handlungen. "Auf viele Ideen brachte mich meine eigene Schulzeit- auch die meiner Töchter. Erinnerungen an Hockey- und Tennisspiele, Streiche, Freundschaften und gegenseitige Abneigung- all das findet man in meinen Schulgeschichten", erinnert sie sich und meint damit vor allem die Serien "Dolly" sowie "Hanni und Nanni". Über die große Popularität staunte sogar die Autorin: "Es ist seltsam, dass, gleichgültig in welchen fremden Ländern die Bücher erscheinen, sie sehr bald allgemein beliebt sind, obwohl sie ihrem Charakter nach rein britisch sind", schreibt sie an ihre deutsche Verlegerin Erika Klopp. Gemeinsam mit ihren beiden Töchtern aus erster Ehe, Gillian und Imogen, sowie mit ihrem zweiten Mann, dem Chirugen K.D. Waters, lebte Enid Blyton auf dem Landsitz Green
Hedges. Dort sowie zuvor in ihrem Elternhaus verfasste die Tier- und Pflanzenfreundin nicht nur Romane, sondern auch journalistische Texte und pädagogische Publikationen, Erzählungen, naturkundliche Schilderungen und Theaterstücke für Kinder sowie einige Filmdrehbücher. Bis heute sind von 700 Titeln, die die- so heißt es in einer Verlagsinformation- "bekannteste und beliebteste Jugendautorin der Welt" schrieb, weltweit schätzungsweise eine halbe Milliarde Bücher in mehr als 30 Sprachen verkauft worden.
"In ihrem Bemühen, kindliche Abenteuer- Phantasie und kindliches Realitätsbedürfnis gleichermaßen zu befriedigen, beschreibt Enid Blyton eine eigenständige Kinderwelt, die in deutlicher Spannung zu nüchternen, von egoistischen Interessen bestimmten Welt der Erwachsenen, gibt aber keine Hilfen, die Gesellschaft der Erwachsenen verstehend zu lernen und verändernd in sie einzugreifen", kritisiert Malte Dahrendorf das Werk der Schriftstellerin das Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Analysen ist.
Wie eine- unbewußte- Republik auf diesen Vorwurf wirkt eine Aussage in einem Brief, den Enid Blyton 1953 in ihrer klaren Sprache verfasste und an Erika Klopp sandte: "Ich schreibe Bücher für alle Altersstufen, von 3 bis 16 Jahren. Auf diese Weise begleite ich ein Kind durch seine ganze Jugendzeit. Wie glücklich bin ich doch!"
Die Schriftstellerin starb am 19.11.1968 in London. Um Antworten auf all die Fragen geben zu können, die ihre Leser ihr in zahllosen Briefen stellten, schrieb Enid Blyton "Die Geschichte meines Lebens" auf. Obwohl es sich in Form und Sprache vor allem an ihre jungen Verehrer wendet, lädt das Buch auch "älteres Publikum" zur biographischen Spurensuche ein und entwickelt sich so zu einer Lektüre, die an vergangenes, aber nicht vergessenes Lesevergnügen erinnert und es abrundet. Die bearbeitete Neuausgabe ist zum Preis von zwölf Mark im Erika Klopp Verlag erschienen.
Beate Griese-Henning
Nürnberger Nachrichten August 1997
Abenteuer groß produziert
Die Schuluniform ist ausgemustert, endgültig. Der blaue Blazer, die adrette weiße Bluse und die rote Krawatte der Serienheldin Dolly mag auf junge Mädchen schon immer befremdlich gewirkt haben. Künftig muss sich aber niemand mehr über das merkwürdige Outfit wundern. Die Neuauflage der Dolly- Serie, die der Franz Schneider Verlag im Herbst herausbringt, präsentiert die Internatsschülerin mitsamt ihren Freundinnen in legerer Kleidung, flottem Haarschnitt und Modeschmuck. Dennoch bleibt Dolly ganz die alte, jenes unternehmungslustige Mädchen, das auf Burg Möwenfels ein Abenteuer nach dem anderen zu bestehen hat. Dass schon die Mütter der heutigen Leserinnen die Geschichten verschlungen haben, beweist, dass Dolly schon ganz schön alt ist- genau wie Hanni und Nanni, die Fünf Freunde und all die anderen Kinder und Jugendlichen, die in den zahllosen Büchern von Enid Blyton vorkommen: schließlich würde die in der Grafschaft Kent geborene Autorin am 11. August schon ihren 100. Geburtstag feiern, wenn sie denn noch lebte. (Sie starb 1968.)
Doch alt ist nicht gleich out. Enid Blyton steht auch bei den heutigen Leseratten auf dem Wunschzettel weit oben. Zahlreiche Verlage machen noch immer gute Geschäfte damit. In den Büchereien gehören Blyton- Titel zu den am häufigsten entliehenen Büchern, so das Ergebnis einer Untersuchung der Stuttgarter Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Enid Blyton unvorstellbar viele Bücher geschrieben hat: mehr als 700 Titel sollen es sein, davon sind 500 heute noch lieferbar. Die Massenproduktion ist ihr offenbar nicht schwergefallen. "Ich sitze auf meinem Stuhl, schließe die Augen und nach ein oder zwei Minuten zeigen sich meinem geistigen Auge die ersten Bilder- die Handlung beginnt. Wenn die ersten Szenen an mir vorbeigezogen sind, kenne ich Namen, Charakter und Aussehen der Leute, die in meiner neuen Geschichte vorkommen. Ich kenne ihre Umgebung und weiß ungefähr, was sie erleben werden. Dann öffne ich meine Augen , und meine Hände beginnen über die Schreibmaschine zu fliegen." So erklärt Enid Blyton die Entstehung eines Buches in der Autobiographie, die sie für junge Leser geschrieben hat (Die Geschichte meines Lebens, Erika Klopp Verlag). Sämtlich Rekorde hat sie gebrochen. Die UNESCO- Statistik weist sie regelmäßig als meistübersetzte Erzählerin der Welt aus. Selbst in Fidschianisch und Suaheli gibt es Blyton- Bücher. Die gesamte weltweit verkaufte Auflage wird auf eine halbe Milliarde geschätzt. "Mein Vorsatz, später einmal Schriftstellerin zu werden, stand bereits fest, als ich lesen lernte", erzählt Enid Blyton in ihrer Biographie. Das Ziel stets vor Augen, las sie, was ihr vor die Finger kam, am liebsten schmökerte sie in Lexika. Außerdem schrieb sie Briefe an alle, die nichts dagegen hatten und verschickte Gedichte und Geschichten an Zeitschriften, allerdings ohne Erfolg: "Mit der Zeit sammelten sich mindestens 500 abgewiesene Manuskripte bei mir an." Ihre Eltern rügten sie, weil sie ihr Geld für Porto, Umschläge und Papier verschwendete. Sie hätten Enid gern als Musikerin gesehen. Diese allerdings setzte sich in den Kopf, Erzieherin zu werden- aus praktischen Gründen: "Ich könnte meine Geschichten, Gedichte und Spiele gleich an den Kindern ausprobieren." Nach der Ausbildung arbeitete Enid Blyton zunächst als Gouvernante und eröffnete dann einen eigenen Kindergarten. Erst nach ihrer ersten Ehe rückten Bücher wieder mehr in den Vordergrund. Sie wurde Lektorin und gab eine Kinder- Enzyklopädie heraus. In ihrer zweiten Ehe mit dem Chirurgen Kenneth Darrell Waters schrieb sie jede Woche, spätestens jede zweite Woche ein Buch. Von der sie umgebenden Wirklichkeit ist wenig in den Büchern zu spüren. Während im zweiten Weltkrieg London bombardiert wurde, entstanden einige Bände der "Fünf Freunde"- Serie, und wie alle Enid Blyton Bücher haben auch diese ein Happy-End. Enid Blytons Tochter Gillian Baverstock mutmaßt: "Ich glaube, dass sie in vielen Büchern das Leben so darstellte, wie sie es selbst gern als Kind gehabt hätte." Tatsächlich soll Enid Blyton ihre Mutter so gehasst haben, dass sie nicht einmal zu ihrer Beerdigung gegangen ist. Ihren Töchtern Gillian und Imogen (geboren 1931 und 1936) gegenüber war sie streng und wohl auch fern. Sie ließ sie in Internaten erziehen und verhinderte nach der Scheidung den Kontakt der Mädchen zu ihrem geliebten Vater, dem Verlagslektor Hugh Pollock. "Touristin im Land der Phantasie" nannte die Schriftstellerin sich selbst. Sie war stolz darauf, dass ihretwegen die Jungen und Mädchen keine Albträume bekommen mussten. Wenn die Bücher schlaflose Nächte verursachten, dann eher, weil die jungen Leserinnen und Leser vor lauter Spannung ihre Müdigkeit vergessen. Doch auch wenn die Bösewichte noch so bedrohlich , die Herausforderungen noch so übergroß erschienen: immer gibt es Figuren, die Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, und sei es ein Hund. Die jungen Helden in den Büchern erwiesen sich der feindlichen Umweltgegenüber als überlegen, durch ihren Mut und Einfallsreichtum, durch Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein. Erwachsene rümpfen über diese immer gleiche triviale Strickmuster der Blyton- Bücher die Nase. Die Geschichten seien lebensfern, die Krimis konstruiert, geistlos und flach, lauten die Vorwürfe. Doch während das früher noch Grund genug für manche Bibliothek war, diese Titel gar nicht erst in die Bestände aufzunehmen, sieht man das heute gelassener. Sandra Schneider von der Stiftung Lesen kann den Run auf Seichtes sogar positive seiten abgewinnen: "Auf diese Weise kommen die Kinder wenigstens zum Lesen. Wenn sie Spaß daran gefunden haben, werden sie auch Anspruchsvolleres wünschen", hofft sie. Allerdings muss man nicht unbedingt lesen, um Enid Blyton zu konsumieren. Schon seit den 70er Jahren gibt es Die Bücher als Hörspiel- Kassetten- und bei der Bertelsmann- Tochter BMG Ariola Miller GmbH hat man längst aufgehört zu zählen, wie oft es Gold oder Platin dafür gegeben hat. So erfolgreich sind die Serien, dass man sogar in die Trickkiste gegriffen hat: acht der 29 "Fünf Freunde" Werke sind erst nach dem Tod von Enid Blyton (1968 in London) entstanden- von einem anderen Autor geschrieben, mit Einwilligung der Blyton- Erben veröffentlicht, aber ohne den markanten Schriftzug. Tatsächlich ist Enid Blyton ein eingetragenes Warenzeichen.
Susanne Preuß
Tageszeitung Berlin 11.08.1997
Eine halbe Milliarde Bücher
Enid Blyton, erfolgreichste Autorin aller Zeiten, wäre heute 100 geworden. Sie produzierte beinah jede Woche ein Buch.
Und wenn sie nicht 1968 gestorben wäre, dann lebte sie noch heute.
Enid Blyton die erfolgreichste Autorin aller Zeiten schrieb 700 Titel, vor allem Kinderbücher, wurde in über 30 Sprachen übersetzt und konnte auf eine Gesamtauflage von schätzungsweise eine halbe Milliarde Bücher verweisen.
Ein Waldstück, ungefähr so groß wie ein halber Kontinent, muss der im ländlichen England aufgewachsenen Naturfreundin und passionierten Pflanzenliebhaberin zum Opfer gefallen, sprich: für sie abgeholzt worden sein.
Enid Blyton, geboren am 11. August 1987 in Südlondon, wäre heute 100 Jahre alt geworden. Jedes Kind kennt ihren Namen, doch für die gängigen Nachschlagwerke ist sie eine Persona non grata. Nichts über sie im Munzinger Archiv, nichts in der Britannica, nichts in Meyers Enzyklopädischem Lexikon, nichts im Guide to English Literature, nichts in Kindlers Neuem Literaturlexikon. Verschwörung des Patriarchats!
Claudia Nolte, übernehmen sie!
Zugegeben, der Fall Blyton ist ziemlich kompliziert. Man muss sie gegen die blöden Kritiker der Lexikalier verteidigen, obwohl die Geschichten um "Hanni und Nanni" ja nun wirklich ganz schön blöde sind, obwohl wir sie alle verschlungen haben und dagegen ja nichts zu sagen ist.....
Blytons Erfolgsgeheimnis bestand darin, ein bemerkenswert schlichtes und kindliches Gemüt mit bemerkenswert genialischen Eigenschaften zu besitzen.
"Mit acht Jahren konnte ich die Seite eines Buches lesen, die Augen schließen und den Text fast wörtlich wiederholen", erinnert sich Enid Blyton in ihrer "Geschichte meines Lebens".
Schon damals wollte sie partout Schriftstellerin werden, auch wenn der Vater unbedingt eine Pianistin aus ihr formen wollte. Während der Pausen zwischen den musikalischen Übungen schrieb sie bis die Feder glühte, in der Hoffnung, dass es irgendwo gedruckt werde und sie dann endlich nicht mehr länger am Klavier schmoren müsste.
Die spätere Massenproduktion lief damals schon an, mindestens 500 Gedichte und Geschichten entstanden. Doch was für eine Frustration: "Tag für Tag kamen Manuskripte zurück und rutschten mit einem dumpfen Aufschlag, den ich noch gut im Blick hatte, durch den Briefschlitz auf den Boden."
Aber bei Enid Blyton kriegt jede traurige Geschichte ein Happy-End. Auch ihre eigene. Sie beschloss, Erzieherin zu werden: "Die Ausbildung würde mir genug Zeit zum Schreiben lassen, und ich könnte meine Geschichten, Gedichte und Spiele, die mir einfielen, gleich an den Kindern ausprobieren." Ihr erstes Buch wurde 1922 veröffentlicht.
Sie heiratete, gebar zwei Töchter, wurde Kinderbuchlektorin, ließ sich scheiden.
Vielleicht war es ihre zweite Ehe mit einem Chirurgen, vielleicht auch der Umzug in ihr von Rotkehlchen, Cockerspaniels, Siamkatzen, Dohlen und Foxterriers wimmelndes Haus "Green Hedges", jedenfalls lief der Schreibautomat von nun an auf Höchstleistung.
Jede Woche, spätestens alle zwei Wochen entstand auf ihrer laubumgkränzten Terrasse ein neues Buch.
"Es ist, als hätte ich ein kleines Kino im Kopf. Ich sehe den Film , schreibe ihn mit und weiß dabei selbst nicht, wie er zu Ende geht. Auf diese Weise bin ich in der Lage, ein Buch zu schreiben und es gleichzeitig voll Überraschungen zum erstenmal zu lesen... Ich könnte leicht ein Buch ohne Unterbrechung fertig schreiben, so schnell dringen die Einfälle auf mich ein."
Wer weiß, vielleicht hätte die Erde nicht nur geschätzte 100.000 Tonnen, sondern die doppelte Menge Blyton Bücher zu tragen gehabt, wenn Enid Blyton nicht nebenher noch als ordentliche Mutti für Mann und Kinder zu sorgen gehabt hätte.
So aber waren es "nur" 19 Folgen Internatsgeschichten um "Hanni und Nanni", die Generationen von Mädchen den Kopf verdrehten und sie darum winseln ließen, ebenfalls in solch einen Schulknast eingesperrt zu werden.
Die gleiche toxische Wirkung hatten die 18 Bände "Dolly", in denen die Internatsschülerin Dolly aufwächst, schließlich ihren Märchenprinzen heiratet und als Erzieherin glücklich auf ihr Internat zurückkehrt. Im Grunde war das, mit viel Phantasie angereichert, Enid Blytons eigene, immer wieder recyclete Lebensgeschichte.
Auch das Grundrezept für ihre Abenteuergeschichten- 8 Bände "Abenteuer", 15 "Geheimnis"- Folgen, 21 Bücher mit den "Fünf Freunden", 15mal "Tina und Tini"- blieb das gleiche. Man nehme eine Portion Kinder, gewähre ihnen die Hauptrolle und lasse sie ein geheimnisvolles Geheimnis oder ein abenteuerliches Abenteuer erleben. Dazu gebe man einige gesottene Bösewichter, eine Handvoll Schatzinsel, einige Krümel Räuberhöhle, jede menge verletzte Hunde oder niedliche Katzenbabies und einen kräftigen Schuss Moralin.
Schmeckt nicht? Kinder werden süchtig danach. Lasst sie doch. Blyton ist allemal besser als "Badman" oder "Billy the Power Ranger".
Ute Scheub
Westfalenblatt 19.04.1997
"Und meine Hände flogen über die Schreibmaschine"
Es gibt viele Kinderbücher- aber wenige, die auch Mama und Papa schon in ihrer Jugend gelesen haben. Solche Bücher sind zum Beispiel "Hanni und Nanni" , "Die Fünf Freunde", "Dolly", "Tina und Tini", die Abenteuer-Serie, die Geheimnis-Serie, die Rätsel-Serie. Geschrieben hat all diese Bücher Enid Blyton. Insgesamt sind es 600, die in viele Sprachen- darunter Schwedisch, Hindi, Suaheli, Fidschianisch und natürlich Deutsch- übersetzt in einer Auflage von insgesamt einer halben Milliarde gedruckt worden sind. Enid Blyton ist am 11. August 1897 in England zur Welt gekommen. Sie würde also, wenn sie noch lebte, in wenigen Monaten 100 Jahre alt.
Warum wünschen sich so viele Kinder, ein Zwilling zu sein? Warum finden sie das Internatsleben so toll? Und noch toller gemeinsame Ferien nur mit Hund und anderen Kindern? Klar: Das liegt an Enid Blyton. Wie aber entstehen Bücher, die Generationen von Kindern faszinieren? Blyton: "Ich folge beim Schreiben meiner Phantasie."
Schon als Kind dachte sie sich immer wieder neue Geschichten aus- vor allem abends, vor dem Einschlafen. Es gibt da kein fertiges Konzept. Die Geschichte entsteht beim Schreiben: " In meinem Kopf läuft die Handlung ähnlich wie in einem Film ab." Dann öffnet sie die Augen- " und meine Hände beginnen über die Schreibmaschine zu fliegen."
Enid Blyton war zweimal verheiratet. Sie hatte zwei Töchter, Gillian und Imogen, die beide lange Zeit im Internat verbrachten. Sie besaß weiter ein schönes Haus im Grünen, einen idyllischen Garten und sehr viele Haustiere. In ihren Büchern gibt es kein Fernsehen, keinen Gameboy, keinen Computer, keine Inlineskates, kein Pop, kein Techno und keinen Krieg in Bosnien. Das liegt auch daran, dass Enid Blyton schon fast 30 Jahre tot ist. Zu ihren Lebenszeiten gab es eben noch keinen Gameboy, keine Skates, kein Techno. Aber noch wichtiger ist, dass die Kinderbuchautorin vor allem die guten und die schönen Seiten des Lebens darstellen will. Zwar müssen die fünf Freunde Richard, Julius, Georg (die eigentlich ein Mädchen ist und Georginia heißt), Anne und Tim (der ein Hund ist) im Kampf gegen irgendwelche Bösewichter auch gefährliche Abenteuer bestehen. Und das ist natürlich spannend, aber man bekommt nicht wirklich Angst. Am Ende siegen in Enid Blytons Büchern immer die Guten- und die Kinder. So sehe ich es . Und ihr? Seid ihr der gleichen oder anderen Meinung? Dann sagt oder schreibt es mir.( Adresse beim "Fragezeichen")
Blyton Bücher findet ihr in jeder Buchhandlung. Die bekanntesten sind sicherlich Hanni und Nanni, Dolly, Tina und Tini und Fünf Freunde. Die Abenteuer-Serie, die Geheimnis-Serie und die Rätsel-Bände. Denen, die Enid Blyton noch nicht kennen, ist das Doppelbuch "Die Insel der Abenteuer" und "Geheimnis um den nächtlichen Brand" (Erika Klopp Verlag) zu empfehlen. Echte Blyton Fans verweise ich auf ihr Buch " Die Geschichte meines Lebens". Es wird von Erika Klopp, die sie in den fünfziger Jahren für deutsche Kinder entdeckte, herausgegeben und kostet zwölf Mark.
Bernhard Hertlein